Ein Leben mit MSUD-Diät ist auch genießbar
- Erfahrungsbericht zu MSUD -
Mein Name ist Bedia Ayyildiz, ich bin 37 Jahre alt und habe die klassische Form der Ahornsirupkrankheit (MSUD/Leuzinose). Beruflich bin ich seit 2010 als Erzieherin in Vollzeit in einer Kindertagesstätte tätig. Zusätzlich zu meiner Ausbildung habe ich im Jahre 2009 mein Studium „BA Bildung und Erziehung im Kindesalter“ absolviert.
Schon in unserer Info Mag Ausgabe 3/17 lag der Fokus mit unserem Special „Wunderkind“ und dem dazugehörigen Artikel „Isa, der Junge mit der Ahornsirupkrankheit“ bei den sehr seltenen erblichen Stoffwechselstörungen wie der Ahornsirupkrankheit (MSUD). Es freut uns deshalb besonders, Ihnen heute einen weiteren Erfahrungsbericht einer MSUDlerin vorstellen zu können.
Lesen Sie in den nächsten Abschnitten den Erfahrungsbericht von Bedia Ayyildiz.
Ich wurde als viertes Kind einer türkischen Familie in Hannover geboren. Nach der ersten Krankheitsphase mit Hypertonie und Erbrechen nach meiner Geburt zeigten die Untersuchungen, dass ich eine schwere Stoffwechselentgleisung hatte. Für die akute Behandlung wurde ich mit Blaulicht in die Universitätsklinik Düsseldorf verlegt. Dort wurde zur schnellen Senkung des Aminosäuren-Blutspiegels eine Blutwäsche an der Dialyse und eine Therapie mit hochdosierter Glucose vorgenommen.
Mit 3 Monaten übernahm dann die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) meine Betreuung. Als erste MSUD-Patientin bekam ich in der Kinderklinik eiweißarme Kost und eine Aminosäurenmischung (ASM). Die ASM von Milupa habe ich mit Apfelmus nach der speziellen Babykost gegessen, dadurch wurde der Geschmack der konzentrierten ASM aber nicht vollkommen überdeckt. Später habe ich ILV-AM von SHS mit Erfrischungspulver getrunken. Und seit zwei Jahren trinke ich 1- bis 3-mal täglich ein flüssiges Produkt.
Meine Eltern hatten mit meiner Geburt und den folgenden Aufenthalten in der Klinik viele Sorgen und Ängste. Obwohl sie für die Diät-Einhaltung sorgten, war ich bis zum 7. Lebensjahr in der MHH Kinderklinik immer wieder stationär aufgenommen worden. Entweder aufgrund eines Infektes oder durch das Essen von nicht erlaubten leucinhaltigen Nahrungsmitteln, die für meine Stoffwechselentgleisungen verantwortlich waren. Ich war ein sehr aufgewecktes und neugieriges Kind, somit probierte ich bei jeder Gelegenheit heimlich von proteinhaltigen Speisen. Dies hat sich immer sehr schnell bemerkbar gemacht. Mein Urin roch nach Ahornsirup, die Leucin-Werte erhöhten sich im Blut und schließlich entgleiste mein Stoffwechsel.
In der Pubertät habe ich das Abwiegen und Berechnen vom Essen selbst übernommen. Dabei unterstützte mich meine Diätassistentin, Uta Meyer, durch verschiedene Rezepte, um mein einseitiges Essen zu bereichern.
Inzwischen kann ich mich vielseitiger ernähren und esse täglich 1000-1500 mg Leucin öfters per Augenmaß. Dafür habe ich mir gedanklich ein Ampelsystem, die „MSUD-Ampel“, überlegt.
Das Prinzip der Vorstellung gleicht einer Verkehrsampel. Die MSUD-Ampel dient dazu, mein Essverhalten zu steuern. Die grüne Ampel zeigt mir die freie Fahrt zum Essen. Ich kann ohne Bedenken reichlich davon essen. Hierzu gehören Gemüse, Obst, Salate, Brotaufstriche wie Honig/Marmelade, Öle u. Fette (etc.). Die gelbe Ampel zeigt mir die Fahrt mit einem Halt, d.h. vor dem Essen muss ich bestimmte Nahrungsmittel zuerst abwiegen und den Leucin-Gehalt berechnen. Hierfür nutze ich die Nährwerttabelle (heute: Aminosäurentabelle) von Nutricia oder eine spezielle App. Fehlende Leucin-Gehalte einzelner Produkte berechne ich aus der angegebenen Eiweißmenge. Zur gelben Kategorie gehören z. B. Reis, Hülsenfrüchte, Süßigkeiten (etc.). Die rote Ampel verbietet mir das Essen. Dazu gehören die Lebensmittel mit sehr hohem Leucin-Gehalt wie z.B. Fleisch, Fisch, Ei (etc.).
werden. Es entsteht ein „Stau“; d.h. der Stoffwechsel entgleist. Dabei treten bei mir folgende Symptome unterschiedlich stark, vereinzelt oder in Kombination auf: Augenflimmern, Kopfschmerzen, Zittern, Krampfanfall, verwaschene Sprache, Lähmungserscheinung, Halluzinationen, Panik, Ohnmacht.
Beim Auftreten dieser Symptome sind meine Angehörigen hilflos. In solchen Akutsituationen muss medizinische Versorgung gewährleistet sein. Im Erwachsenenalter bekommt man jedoch keine adäquate Betreuung wie in der Kindheit. Auch im Erwachsenenalter können Stoffwechselentgleisungen im Körper unbehandelt oder mit falscher Behandlung zu geistigen Schädigungen sowie zum Komaanfall bis hin zum Tode führen.
Die diätische MSUD-Therapie ist hierfür ein Anker zum Leben.
Ich besuche Freunde, gehe in Restaurants, nehme an Veranstaltungen und Festen teil. Im Freundes- und Bekanntenkreis stellt meine Diät kein Problem dar. Vor der Einladung informieren sie sich explizit, welche Speisen ich essen darf.
An Orten, wo feste Speisepläne vorhanden sind, versuche ich falls möglich vegan und eiweißarm zu bestellen z.B. Gerichte mit Kartoffeln und Salat. Zur Not trage ich immer eine MSUD-Tasche bei mir. Der Inhalt besteht aus eiweißarmen Lebensmitteln wie ein belegtes eiweißarmes Brötchen, Banane oder Apfel, Saft und ASM-Getränk.
Beim Shoppen oder ähnlichen Situationen gehe ich zu meinen Lieblingsrestaurants oder Cafés, in der die Speisekarte auch für mich vieles zu bieten hat.
In der Woche verbringe ich die meiste Zeit auf der Arbeit. Es gibt täglich Mittagessen und ich esse gemeinsam mit den Kindern. Die Kita hat eingeplante Tagesgerichte wie z.B. dienstags ein Fleischgericht, mittwochs gibt es immer Fisch (etc). Dazu erstelle ich mir auch wöchentlich einen individuellen Ernährungsplan. Für die Arbeit koche ich am Abend zuvor Essen oder kaufe Salat ein.
Zu bestimmten Jahreszeiten treten v.a. in einer Kita sehr häufig Infekte und ansteckende Krankheiten auf. Um mein Immunsystem und meinen Stoffwechsel vor den Viren zu schützen, achte ich dann besonders auf meine MSUD-Diät. Ich esse 3 Mahlzeiten am Tag und nehme regelmäßig meine ASM.
Bei Tagesausflügen und längeren Reisen mit Übernachtungen rechne ich die Menge der eiweißarmen Lebensmittel für jeden Tag pro Aufenthalt. Deshalb ist dann mein MSUD-Rucksack oder MSUD-Koffer immer dabei.
Für Notfälle trage ich ein ICE Notfall-Armband mit USB Stick von UTAC. Auf dem Armband sind alle wichtigen medizinischen Informationen über meine Krankheit gespeichert.
Die Diät-Einhaltung ist schwierig aber machbar! Diätfehler passieren im Laufe des Lebens. Vor allem in der prämenstruellen Zeit oder in Stress-Situationen unterliege ich öfters den hormonell bedingten Heißhungerattacken. Wichtig ist nach den unvermeidlichen Diät-Brüchen, die Diät weiter einzuhalten und sich dabei den ärztlichen Kontrollen zu unterziehen. Zur Vermeidung der Diätfehler versuche ich meine Willenskraft zu stärken und mir Selbstdisziplin anzueignen.
Ich atme, lebe und genieße das Leben wie jeder andere auch. Dankbar bin ich heute für meine MSUD-Diät.