Mein Leben mit 48 Jahren PKU
- Erfahrungsbericht zu PKU -
Mein Name ist Ulrike Schaffer und ich bin im Dezember 1969 in Leverkusen geboren. Ich hatte großes Glück, dass der Guthrietest in dem Krankenhaus, in dem ich geboren wurde, damals schon bei Neugeborenen gemacht wurde. Zusätzlich wurde bei mir der Fölling‘sche Windeltest gemacht. Hierbei wurde Urin des Kindes (Windel) mit Eisenchlorid versetzt. Wenn im Urin das Abbauprodukt von Phenylalanin Phenylbrenztraubensäure vorliegt, verfärbt sich der Urin grünlich. Beide Tests waren bei mir positiv.
Coming soon: Der Erfahrungsbericht von Ulrike aus der Info Lounge als Video zum Anschauen!
Lesen Sie in den nächsten Abschnitten den Erfahrungsbericht von Ulrike Schaffer.
Da mein Phe-Spiegel nach der Entlassung sehr hoch war, wurde ich im Januar in das Klinikum Aachen eingeliefert. Man gab mir Fläschchen mit Albumaid XP (1. PHE-freies Protein-Hydrolysat), das sehr aufwändig mit Mondamin, Öl, Zucker, Milch und Wasser zubereitet wurde. Die Werte fielen jedoch nicht unter 9 mg / dl (obwohl der Fölling‘sche Test negativ war). Die Ärzte konnten sich dies nicht erklären. Meine Eltern setzten sich dann mit Prof. Bickel in Heidelberg in Verbindung, der auf eine komplett Phe-freie Ernährung bestand. So gab man mir Albumaid XP ohne Milch, aber mit Karotten. Der Phe-Spiegel sank jedoch viel zu tief, sodass ich Durchfall bekam und immer schwächer wurde. Die Ärzte haben dann sogar vermutet, dass ich vielleicht doch keine PKU habe.
Daraufhin haben sich meine Eltern nochmals mit Prof. Bickel in Verbindung gesetzt. Dieser sagte, dass die Ärzte die Diät nicht richtig eingestellt haben, vermutlich weil die Diät damals noch neu war und es wenig Praxiserfahrung gab. Er würde, wenn es sein Kind wäre, mich sofort nach Heidelberg bringen.
So kam ich mit zwei Monaten nach Heidelberg. Hier wurde dann ein Phe-Belastungstest gemacht, der bewies, dass ich PKU habe. In den zwei Monaten, die ich dort war, wurde ich erst einmal aufgepäppelt und bekam bei meiner Entlassung meinen ersten richtigen Diätplan.
Da Albumaid XP so schrecklich (nach Fisch) schmeckte, verweigerte ich diese und erbrach mein Essen regelmäßig. Aus Angst wusste sich meine Mutter nicht anders zu helfen, als mich auf einer Plastikdecke zu füttern und mir das Erbrochene wieder zurück zu füttern, da nicht klar war, was in mir geblieben war und was nicht. Meine Mutter versuchte den Geschmack des Albumaid XP‘s mit Geschmacksstoffen für mich zu verbessern, jedoch mit wenig Erfolg. Im Jahr 1973 bekam ich dann die Aminosäurenmischung P-AM (1. Phe-freie Aminosäurenmischung).
Ein weiteres Problem war es für meine Mutter, dass auf die Post damals kein Verlass war. Urin und Blutproben kamen zu spät oder gar nicht an. Auch die Phe-Werte blieben oft aus und meine Mutter musste sich immer wieder telefonisch mit der Klinik in Verbindung setzen, was sie viel Zeit und Kraft kostete.
Im Dezember 1970 verstarb mein Vater. Dies war eine weitere Herausforderung, da meine Mutter nun ganz alleine für mich verantwortlich war. Für die Zeit während ihrer Arbeit suchte sie nun für mich eine 9 ½ stündige Betreuung durch eine qualifizierte Haushälterin. Doch sie musste sich hierzu erst mit den Ämtern ‚rumschlagen‘, um finanzielle Unterstützung zu bekommen. Im Jahr 1971 wurden mir 30 % Behinderungsgrad zugesprochen, das „H“ (für Hilflosigkeit) bekam ich jedoch erst 1977. Meine ganze Kindheit wurde ich schließlich von Haushaltshilfen betreut. Dann zog meine Großmutter aus Leverkusen zu uns als Unterstützung. Im Kindergarten und in der Schule musste sich meine Mutter schließlich auf die Erzieher verlassen (können), was auch ganz gut ging.
Es war immer sehr schwierig, an Phe-Werte bzw. Eiweißangaben von Lebensmitteln zu kommen, wenn man seinem Kind Abwechslung in der Diät bieten wollte. So schrieb meine Mutter von Anfang an Firmen an. Die ersten Phe-armen Lebensmittel waren Nudeln aus Italien, Damin eiweißarm, die erste eiweißarme Backmischung von SHS (1972), und Plätzchen von der Hammermühle. Nach und nach kamen immer mehr Firmen mit eiweißarmen Produkten und Aminosäurenmischungen auf den Markt.
Dank meiner Mutter und der guten und engen Betreuung durch die Uniklinik Heidelberg entwickelte ich mich gut. Der Diätplan wurde regelmäßig angepasst, sowohl von Seiten der Phe-Toleranz, als auch aufgrund der immer mehr verfügbaren Phe-freien Lebensmittel. Da es damals noch keine auf 1g genaue elektrische Waage gab, haben wir jahrelang die Lebensmittel mit einer Briefwaage abgewogen. Es wurde genau Tagebuch geführt. Ich hatte konkrete Angaben, wie viel ich morgens, mittags und abends essen durfte mit genauen Rezeptangaben zum Beispiel für Kartoffeln, Gemüse, Sahne und Margarine. Eine große Auswahl gab es deshalb nicht. Mit den Jahren wurden immer mehr Rezeptbücher herausgegeben, was dann endlich eine Abwechslung brachte.
Für mich war meine Diät in jungen Jahren (3-9 Jahre) kein großes Problem, außer, wenn ich zu Kindergeburtstagen ging. Da wurde man von den anderen Kindern immer aufgezogen: „Musst Du wieder eine Extrawurst haben?“.
Früh habe ich gelernt, meine Diät selbst in die Hand zu nehmen, indem ich die Aminosäurenmischung und Lebensmittel abwog und berechnete. Hierzu lernte ich, mit einem Rechenschieber die jeweiligen Phe-Werte auszurechnen. Jedoch wurde ich natürlich auch immer neugieriger, andere Lebensmittel zu probieren, sodass meine Phe-Werte nicht immer gut waren. Als eine Quälerei empfand ich auch das ständige Blutabnehmen. Nur auf die erst halb- dann jährlichen Untersuchungen in Heidelberg habe ich mich immer gefreut, weil die Diätassistentin oft neue Lebensmittel und Rezepte für mich hatte. Die Untersuchungen empfand ich dabei allerdings immer als nötiges Übel, denn sie waren sehr umfangreich: Blut- und Urinuntersuchungen, Psychologe, EEG, Röntgen der Hand und die Untersuchung bei Fr. Dr. Schmidt.
Im Jahr 1976 wurde die DIG-PKU gebildet. In den nächsten Jahren wurden dann auch immer mehr regionale Treffen veranstaltet, jedoch war es für mich, die ja eine der Ältesten war, oft sehr langweilig, obwohl dort auch immer neue Rezepte und Lebensmittel angeboten wurden. Irgendwann wollte ich zu diesen Treffen nicht mehr hin.
In der Pubertät hatte ich oft Schwierigkeiten, meine Diät einzuhalten. Es war für mich wie ein Spießrutenlauf, denn ich wusste ja, wenn ich genascht habe, würden mich meine Werte verraten und es gab Ärger mit meiner Mutter und mit meiner Ärztin. Die Diätpläne wurden dann an meine Essgewohnheiten angepasst. Auch war es für mich sehr schwer, das P-AM einzunehmen wegen des Nachgeschmacks. Irgendwann gab es dann andere Geschmacksrichtungen bei den Aminosäurenmischungen (Kakao, Zitrone, Waldbeere usw.), damit wurde die Einnahme erleichtert. In den Jahren danach habe ich mein Abitur und eine Ausbildung gemacht, bin ausgezogen und habe geheiratet. Die Diät habe ich mehr oder weniger eingehalten und von der Entwicklung der PKU (Lebensmittel, JuEK und ESPKU) habe ich nur noch am Rande mitbekommen.
Ich habe über die Jahre hinweg immer wieder an Studien teilgenommen. Im Jahr 1982 wurde die Forschung zur maternalen PKU aufgenommen. Im Jahr 1994 bin ich nach Münster gegangen, da ich Kinder haben wollte. Ich fing an, meine Diät wieder aufzunehmen. Jedoch wurde es für mich immer schwieriger, mich daran zu halten, bis ich sogar die PKU regelrecht aus meinen Gedanken verdrängt habe. Ich habe mich dann entschlossen, keine Kinder in die Welt zu setzen. Ich konnte es nicht verantworten, ein geschädigtes Kind zur Welt zu bringen, nur weil ich nicht in der Lage bin, mich an die Diät zu halten.
Danach war es so, dass man sich als Erwachsener, der sich einmal von der PKU abgewendet hat, reichlich verloren vorkam.
Ich habe dann den Tipp bekommen, nach Bochum in die Erwachsenen Ambulanz zu gehen. Dort bekam ich, dank der super Betreuung durch den Arzt und die Diätassistenten, viele Infos zu neuen Firmen und Lebensmitteln. Darüber hinaus erhielt ich dann auch den ersten Kontakt zu einer PKU-Patientin, die in meinem Alter ist. Ich habe dann angefangen, mich für PKU-Gruppen auf Facebook zu interessieren und bin nach Jahrzehnten wieder, dank meiner neuen PKU-Bekanntschaft, zu einem PKU-Treffen gegangen. Danach habe ich regelmäßig Blutkontrollen gemacht und die Vielzahl der neuen Lebensmittel kennengelernt. Was mich im ersten Moment, aufgrund der Fülle, erschlagen hat. Ich habe nach Jahren wieder angefangen mich mit der PKU neu anzufreunden, indem ich mich überall (PKU-Board, Nutricia Metabolics Info-Lounge usw.) informierte. Auch neue Kontakte habe ich geknüpft und nehme an Kochkursen und Veranstaltungen teil.
Heute bin ich so glücklich, dass die Firmen und auch manche Kliniken uns Erwachsene nicht vergessen haben und sie sich für uns PKU‘ler so ins Zeug legen. Sie stellen neue Produkte her, wie die vielzähligen Aminosäurenmischungen, wo jeder seine Geschmacksrichtung findet, sowie die eiweißarmen Lebensmittel, damit es für uns so leicht wie möglich ist, mit unserer Diät zurecht zu kommen und natürlich auch schmackhaft ist.
Dank dieser Entwicklung ist für mich die PKU kein Monster mehr, sondern eine besondere Art zu leben. Und das macht uns PKU‘ler zu etwas Besonderem!