Die Ernährung im ersten Lebensjahr: Stillen & Flaschennahrung
Nun da erkannt wurde, dass Ihr Kind eine seltene erbliche Stoffwechselstörung hat, kann es behandelt werden. Dabei hat die Diät eine wichtige oder sogar die wichtigste Bedeutung, denn bei vielen Erkrankungen kann sich Ihr Kind bei Einhaltung der Diät altersgemäß normal entwickeln.
Diese spezielle Ernährung scheint zunächst sehr kompliziert, jedoch lernen Sie diese in den nächsten Monaten Schritt für Schritt mit der Entwicklung Ihres Kindes besser kennen. Die ersten Fragen, wie z.B. „Kann ich mein Kind stillen?“ oder „Wie funktioniert das mit der Spezialnahrung?“, stellen Sie sich direkt nachdem Ihnen die Diagnose mitgeteilt wurde. Ihr Arzt/Ihre Ärztin oder Ihre Ernährungsfachkraft des betreuenden Stoffwechselzentrums hat Ihnen bereits viele Informationen gegeben. Im Folgenden finden Sie weitere Informationen und Praxistipps, die Ihnen die Umsetzung im Alltag erleichtern sollen.
Lesen Sie in den nächsten Abschnitten, welche Besonderheiten bei der Indikation Ihres Kindes zu berücksichtigen sind.
Hinweise zur Diät
Die Ernährung sollte sich soweit wie möglich an den allgemeinen Empfehlungen für Säuglinge orientieren. Das Prinzip der Diät besteht darin, die Zufuhr der Aminosäure, deren Abbau gestört ist (bei PKU z.B. Phenylalanin) auf Mengen des lebensnotwenigen Bedarfs des Kindes zu reduzieren. Alle Lebensmittel, die zu viel Eiweiß enthalten (und damit zu viel der Aminosäure(n) deren Abbau gestört ist), müssen weggelassen oder eingeschränkt werden.
In der Rubrik Krankheitsbilder erfahren Sie, welche AS bei Ihrem Kind im Abbau gestört ist.
Die Menge an Muttermilch (oder ggf. Säuglingsanfangsnahrung) und Spezialflaschennahrung ist von der individuellen Toleranz und Erkrankung Ihres Kindes abhängig und wird Ihnen von Ihrem betreuenden Stoffwechselzentrum berechnet. Die individuelle Toleranz und der Nährstoffbedarf ändern sich, aufgrund schnellen Wachstums und Entwicklung, im ersten Lebensjahr besonders schnell.
Verschiedene Vorgehensweisen:
Optimal ist es, wenn in einer Mahlzeit sowohl Muttermilch als auch die Spezialflaschennahrung verabreicht werden. Dazu geben Sie Ihrem Kind zu jeder Mahlzeit erst das Fläschchen mit der Spezialflaschennahrung und nachträglich können Sie in der Regel Ihr Kind „ad libitum“ (es trinkt so viel Muttermilch, wie es mag) stillen. Bei einigen Erkrankungen (z.B. Harnstoffzyklusstörung) ist dies nicht immer möglich, Ihre Ernährungsfachkraft wird Sie über die genaue Vorgehensweise informieren. Falls es von der Handhabung her leichter ist, können Sie auch Still- und Flaschenmahlzeit abwechseln, d.h. wenn Ihr Kind am Tag 6 Mahlzeiten bekommt, bekommt es davon 3 Stillmahlzeiten und 3 Mahlzeiten mit der Spezialnahrung.
Hinweise zur Diät
Da Säuglinge mit LCHAD- und VLCAD-Mangel die in der Nahrung enthaltenen langkettigen Fettsäuren nicht abbauen können, erhalten sie in den meisten Fällen im Säuglingsalter eine Spezialflaschennahrung: diese sollte nur sehr wenig von dem üblichen langkettigen Fett enthalten, stattdessen mit ausreichend MCT-Fett angereichert sein. Man spricht von einer fettreduzierten + fettmodifizierten Diät. Ob ein Säugling ausschließlich die Spezialflaschennahrung bekommt oder teilweise gestillt werden kann, hängt vom Schweregrad der Erkrankung bzw. vom Vorliegen klinischer Symptome ab:
LCHAD- und symptomatischen VLCAD-Mangel
Säuglinge mit einem LCHAD- oder symptomatischen VLCAD-Mangel sollten ausschließlich eine Spezialflaschennahrung (Monogen oder basic-f) erhalten.
Je nach Nahrung, muss noch eine bestimmte Menge Öl hinzugefügt werden, um den Bedarf an essentiellen Fettsäuren* zu decken. Am besten eignen sich dafür Walnussöl, Weizenkeimöl oder Sojaöl, da sie sehr reich an essentiellen Fettsäuren sind.
*Erklärung essentielle Fettsäuren: unentbehrliche langkettige Fettsäuren, die der Körper zum Leben benötigt, jedoch nicht selber herstellen kann.
Nun kann ich nicht Stillen!
Keine Sorge, auch wenn Sie Ihr Kind mit dem Fläschchen füttern, können Sie eine starke Bindung ihm aufbauen. Halten Sie Ihr Baby beim Füttern am besten ganz nah an Ihren Körper und achten Sie dabei auf Augenkontakt. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Väter, denn sie können ihre Partnerin beim Füttern des Babys unterstützen und so wertvolle Zeit mit ihrem Kleinen verbringen.
Störungen der Fettsäurenoxidation (nicht symptomatische VLCAD)
Säuglinge mit VLCAD-Mangel ohne klinische Symptome, d.h. Säuglinge, die im Neugeborenen-Screening entdeckt wurden, jedoch ganz unauffällig, ohne Krankheitszeichen sind, können auch teilweise gestillt werden bzw. ggf. handelsübliche Säuglingsanfangsnahrung bekommen.
Zum Beispiel kann im Wechsel 1x Muttermilch und 1x Spezialflaschennahrung gegeben werden. Im Einzelfall wurden asymptomatische Patienten in enger Kontrolle des Stoffwechselzentrums auch ausschließlich gestillt.
Regelmäßige Mahlzeiten
Die Mahlzeiten sollten regelmäßig eingenommen werden und die Abstände zwischen zwei Mahlzeiten sollten nicht zu lang sein, um zu vermeiden, dass der Körper eigenes Fett (und damit langkettige Fettsäuren) abbaut. Normalerweise wird aus den langkettigen Fettsäuren Energie gewonnen und somit die Hungerphase überbrückt. Patienten mit einem Defekt des Abbaus langkettiger Fettsäuren können das aber nicht. Auch die nächtlichen Pausen zwischen den Mahlzeiten sollten, die in der Tabelle angegebene Dauer, nicht überschreiten:
Alter | Abstand zwischen den Mahlzeiten* |
---|---|
Neugeborene | 3 Stunden, auch nachts |
< 6 Monate | 4 Stunden, auch nachts |
> 6 Monate | 4 Stunden tagsüber, 6 Stunden nachts |
> 12 Monate bis 3 Jahre | 4 Stunden tagsüber, 8 Stunden nachts |
> 4 Jahre | 4 Stunden tagsüber, 10 Stunden nachts |
*Quelle: Ratgeber VLCAD: Informationen zu Diagnostik, Behandlung und Verlauf für Eltern, Betroffene und Interessierte (Bestellkontakt: Nutricia Metabolics Helpline: 00800-747 73799)
Im Anschluss erfolgt die Einführung der Beikost nach dem allgemeinen Schema der Beikosteinführung für Säuglinge, mit der Modifikation durch eine fettarme Lebensmittelauswahl und Zugabe von MCT-Öl unter Ergänzung der essentiellen Fettsäuren. Weitere Informationen finden Sie auch im Artikel Beikosteinführung.
Störung des Abbaus mittelkettiger Fettsäuren: MCAD
Säuglinge mit einem MCAD-Mangel können normal gestillt werden oder ggf. eine handelsübliche Säuglingsanfangsnahrung erhalten. Größere Abstände zwischen den Mahlzeiten sind unbedingt zu vermeiden. Ein Kind im ersten Lebensjahr sollte nicht länger als 6 Stunden ohne Mahlzeit bleiben. Ab dem 6. Monat sollte weiterhin eine kohlenhydrathaltige Spätmahlzeit eingeführt werden, alternativ ist Wasser oder Tee mit Maltodextrin möglich.
Alter | Größtmöglicher Abstand zwischen den Mahlzeiten (insbesondere nächtliche Nahrungspausen)* |
---|---|
Säugling (0 - 6 Monate) | 6 Stunden |
7 Monate - 3 Jahre | 8 Stunden |
4 - 7 Jahre | 10 Stunden |
*Quelle: Ratgeber MCAD: Informationen zu Diagnostik, Behandlung und Verlauf für Eltern, Betroffene und Interessierte (Bestellkontakt: Nutricia Metabolics Helpline: 00800-747 73799)
Ansonsten können Kinder mit MCAD-Mangel völlig normal ernährt werden.
Hinweise zur Diät
Da Muttermilch und auch herkömmliche Säuglingsanfangsnahrungen Kohlenhydrate (meist Lactose) enthalten, ist ausschließliches Stillen des Kindes nicht möglich. Alternativ werden Spezialflaschennahrungen eingesetzt, die entweder kohlenhydratfrei sind oder alternative Kohlenhydrate enthalten.
Galactosämie
Schon bei Verdacht auf eine klassische Galactosämie muss die Zufuhr von Galactose und Lactose aus der Nahrung sofort gestoppt werden. Weder Muttermilch noch normale Säuglingsanfangsnahrung können gegeben werden, da beide Lactose als Kohlenhydrat enthalten. Alternativ werden lactose- und galactose-freie Säuglingsnahrungen auf Sojabasis (z.B. Aptamil Soja), Hydrolysatnahrungen (z.B. bei Allergieverdacht, Nutricia Neocate) oder eine kohlenhydratfreie Spezialflaschennahrung (Milupa basic-ch) in Kombination mit Glucose oder Fructose gegeben, denn die Aufnahme von Fructose und Glucose verläuft normal. Diese Spezialflaschennahrungen sind hinsichtlich aller anderen Nährstoffe, wie Protein, Fett, Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente wie handelsübliche Säuglingsanfangsnahrungen zusammengesetzt und werden auch im Fläschchen zubereitet und gefüttert. Die tägliche Trinkmenge richtet sich, wie bei jedem anderen Säugling auch, nach Alter und Gewicht und wird seinen Bedürfnissen entsprechend angepasst.
Abhängig vom Gedeihen und den Essfertigkeiten des Kindes, wird auch bei der klassischen Galactosämie mit Beginn des 5. Monats, spätestens aber mit Beginn des 7. Monats die Beikost eingeführt. Nähere Informationen dazu finden Sie im Bereich Beikost.
Glucose-Galactose-Malabsorption
Bereits in den ersten Lebenstagen, nach Aufnahme lactosehaltiger (Lactose = Glucose+Galactose) Nahrung, wie Muttermilch (oder ggf. Säuglingsanfangsnahrung), beginnen die ersten Krankheitssymptome, so dass nach Diagnosestellung einer Glucose-Galactose-Malabsorption die Zufuhr von Glucose und Galactose aus der Nahrung sofort gestoppt werden muss. Als Alternative zu Muttermilch (oder ggf. handelsüblicher Säuglingsanfangsnahrung), werden entweder kohlenhydratfreie Spezialflaschennahrung (Milupa basic-ch) in Kombination mit Fructose gegeben oder eine Spezialflaschennahrung auf Basis von Casein und Fructose (Galactomin 19). Die Aufnahme von Fructose verläuft normal. Diese Spezialflaschennahrungen sind hinsichtlich aller anderen Nährstoffe, wie Protein, Fett, Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente wie handelsübliche Säuglingsanfangsnahrungen zusammengesetzt.